Shahak: Jüdische Religion Start-Home Religion-Dialog
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Israel Shahak
Jüdische Geschichte, jüdische Religion
Die Last von dreitausend Jahren


Bibeldeutung

S. 91: Aus den vorhergehenden Beispielen dürfte hervorgegangen sein, daß das, was die meisten vermeintlich wohlinformierten Menschen vom Judaismus zu wissen glauben, sehr irreführend sein kann, wenn sie nicht Hebräisch lesen können. Alle die obengenannten Einzelheiten kann man in den hebräischen Grundtexten finden, oder, in gewissen Fällen, in neuzeitlichen hebräisch geschriebenen Werken für einen ganz spezialisierten Leserkreis. In englischen Texten findet man sie niemals, nicht einmal an den Stellen, wo die Auslassung solcher sozial wichtiger Tatsachen das ganze Bild verzerren.

Über den Judaismus gibt es ein weiteres Mißverständnis, das besonders üblich bei Christen ist oder bei Menschen, die stark von christlicher Kultur und Tradition beeinflußt sind. Es ist die irreführende Vorstellung, daß der Judaismus eine „biblische Religion“ ist, daß das Alte Testament im Judaismus die gleiche zentrale Stellung und gesetzliche Autorität hat, wie in der protestantischen oder gar in der katholischen Kirche.

Und wieder hängt dies mit Fragen der Deutung zusammen. Wir haben gesehen, daß es einen großen Spielraum in Glaubensfragen gibt. Das genaue Gegenteil gilt für die juristische Deutung der heiligen Texte. Hier ist die Deutung streng fixiert — nicht von der Bibel selbst, sondern vom Talmud. Viele, vielleicht die meisten Bibelverse, die religiöse Handlungen und Pflichten vorschreiben, werden vom klassischen Judaismus und der heutigen Orthodoxie in einer Bedeutung „verstanden“,

(S. 92) die sich völlig von deren buchstäblicher Bedeutung unterscheidet oder geradezu in das Gegenteil dessen gekehrt wird, was Christen oder andere Leser des Alten Testamentes daraus entnehmen, die nur den einfachen Text sehen. Die gleiche Teilung gibt es heute in Israel zwischen Juden, die in jüdische religiöse Schulen gegangen sind und solchen, die „weltliche“ hebräische Schulen besucht haben, wo im allgemeinen die einfache Bedeutung des Alten Testaments gelehrt wird.

Diesen wichtigen Punkt kann man nur anhand von Beispielen verstehen. Man muß berücksichtigen, daß nicht alle Änderungen des Inhalts in bezug auf Ethik, wie das Wort „Ethik“ heute verstanden wird, in die gleiche Richtung gehen. Die Apologeten des Judaismus behaupten, daß die Bibeldeutung, die die Pharisäer begannen und die der Talmud festlegte, immer viel liberaler als die buchstäbliche Deutung ist. Aber einige der kommenden Beispiele zeigen, daß dies bei weitem nicht der Fall ist.

1. Wir wollen mit den Zehn Geboten beginnen. Das Achte Gebot „Du sollst nicht stehlen“ (Zweites Mosebuch 20: 15) wird aufgefaßt als Verbot einen Juden „zu stehlen“ (d.h. ihn zu entführen). Die Erklärung ist die, daß laut Talmud alle Handlungen, die in den Zehn Geboten verboten sind, mit der Todesstrafe bestraft werden. Besitz zu stehlen ist kein derartiges Todesdelikt — daher diese Auslegung (die Entführung eines Nichtjuden durch einen Juden ist nach talmudischem Gesetz sogar erlaubt). Eine im wesentlichen gleichlautende Anordnung - „Ihr sollt nicht stehlen“ (Drittes Mosebuch — Leviticus 19:11) läßt man jedoch seine buchstäbliche Bedeutung behalten.

S. 94: Der berühmte Vers „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ (Drittes Mosebuch 19:18) wird vom klassischen (und heutigen orthodoxen) Judentum als ausdrücklicher Befehl aufgefaßt, seinen nächsten Juden und nicht irgendeinen Menschen zu lieben. „Trachte nicht nach dem Blut Deines Nächsten“, (gleiches Kapitel, Vers 16) deutet man auch als Gebot, nicht tatenlos dazustehen, wenn das Leben (Blut) des nächsten Juden in Gefahr ist, jedoch, wie wir in Kapitel 5 sehen werden, ist es im allgemeinen einem Juden verboten, das Leben eines Nichtjuden zu retten, denn „er ist nicht Dein Nächster“.

Das Wort „Mensch“ (Adam) meint man jedoch, bedeute ausschließlich „Jude“, so daß nur eine „jüdische“ Leiche tabu ist (d.h. sowohl unrein, wie auch heilig). Von dieser Deutung ausgehend

empfindet der fromme Jude eine unerhörte magische Verehrung für jüdische Leichen und jüdische Begräbnisstätten, jedoch keine für nichtjüdische Leichen und Begräbnisstätten. Demgemäß hat man in Israel Hunderte von moslemischen Begräbnisstätten vollständig zerstört (in einem Fall, für das Tel S. 95: Aviv Hilton Hotel), es gab jedoch einen großen Aufschrei, als unter jordanischer Herrschaft die jüdische Begräbnisstätte am Ölberg beschädigt wurde. Für Derartiges gibt es allzu viele Beispiele, als daß man sie alle anführen könnte.


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Die Einstellung zum Christentum und zum Islam

S. 221: In früheren Kapiteln habe ich verschiedene Beispiele der rabbinischen Einstellung zu diesen zwei Religionen gegeben. Aber es ist nützlich, diese Haltung noch einmal zusammenzufassen.

Das Judentum ist durchdrungen von einem sehr starken Haß gegen das Christentum, verbunden mit Unwissenheit über diese Religion. Diese Einstellung verschlimmerte sich natürlich durch die Verfolgung der Juden durch die Christen, entwickelte sich jedoch unabhängig davon. Tatsächlich stammt diese Einstellung aus der Zeit, als das Christentum immer noch sehr schwach und verfolgt war (nicht zuletzt von Juden), und sie wurde auch von Juden geteilt, die niemals von Christen verfolgt worden waren oder denen sogar von ihnen geholfen wurde. So war z.B. Maimonides moslemischer Verfolgung durch das almohadische Regime ausgesetzt und floh zum Königreich Jerusalem der Kreuzritter; dies änderte aber nicht im geringsten seine Einstellung. Diese negative Einstellung gründet sich auf zwei hauptsächliche Tatsachen.

Zum ersten: auf Haß und böswillige Verleumdung Jesus' . Die traditionelle Auffassung des Judentums von Jesus muß natürlich streng getrennt gehalten werden von dem sinnlosen Wortstreit zwischen Antisemiten und jüdischen Apologeten bezüglich der „Verantwortung“ für seine Hinrichtung. Die meisten heutigen Experten dieser Periode geben zu, daß das Fehlen von zeitgenössischen Originalberichten und das späte Zustandekommen der

(S. 222) Evangelien, sowie deren gegenseitige Widersprüche, es unmöglich machen, sich ein verläßliches Bild von der Hinrichtung Jesus' zu verschaffen. Auf jeden Fall ist die Vorstellung einer kollektiven und vererbten Schuld sowohl bösartig als auch absurd. Aber hier geht es nicht um die Tatsachen um Jesus, sondern um unkorrekte und auch verleumderische Berichte, die es im Talmud und der nach-talmudischen Literatur gibt. Diese glaubten die Juden bis in das 19. Jh. hinein, und viele, besonders in Israel, glauben noch heute daran. Und diese Berichte spielten natürlich eine wichtige Rolle in der Bildung der jüdischen Haltung gegenüber dem Christentum.

Laut Talmud wurde Jesus von einem zuständigen rabbinischen Gericht wegen Götzenanbetung hingerichtet, andere Juden zu Götzendienst verführt und die rabbinische Autorität verachtet zu haben. Alle klassischen jüdischen Quellen, die seine Hinrichtung erwähnen, lassen gern die Rabbiner die Verantwortung übernehmen. Die Römer werden in der talmudischen Version der Ereignisse nicht einmal erwähnt.

Die populäreren Berichte - die auch völlig ernst genommen wurden - wie etwa der berüchtigte Toldot Yeshu sind sogar noch schlimmer, denn außer der vorhergenannten Verbrechen, klagen sie Jesus auch der Zauberei an. Allein der Name „Jesus“ war für die Juden ein Symbol für alles Verabscheuungswürdige, und diese weit verbreitete Tradition lebt heute immer noch. Die Evangelien werden ebenfalls verabscheut und man darf sie in heutigen israelischen Schulen nicht einmal erwähnen (noch viel weniger lehren).

S. 223: Zum zweiten: theologische, meistens auf Unkenntnis beruhende, Gründe. Das Christentum wird von der rabbinischen Lehre als Götzenanbetung klassifiziert. Dies beruht auf einer geschmacklosen Deutung des christlichen Dogmas der Dreieinigkeit und Christi Menschwerdung. Alle christlichen Symbole und Bilddarstellungen werden als „Götzenbilder“ betrachtet — auch von jenen Juden, die buchstäblich Buchrollen, Steine und persönliche Dinge „Heiliger Männer“ verehren.

Die Einstellung des Judentums zum Islam ist dagegen verhältnismäßig mild. Obwohl Mohammeds üblicher Beiname der „Verrückt!“ (meschugga) ist, war dies zur Zeit dessen Entstehens

bei weitem nicht so kränkend, wie er heute empfunden wird, aber auf jeden Fall verblaßt er angesichts der Schmähungen, die gegen Jesus angewendet werden. Auch wird der Koran - im Gegensatz zum Neuen Testament — nicht zum Verbrennen verurteilt. Er wird nicht auf die gleiche Art verehrt, wie das islamische Gesetz die heiligen Buchrollen des Judentums ehrt, aber er wird wie ein gewöhnliches Buch behandelt. Die meisten Rabbiner sind sich darin einig, daß der Islam kein Götzendienst ist (gewisse Führer von Gush Emunim ziehen es aber vor, dies zu ignorieren). Daher bestimmt Halakhah, daß Juden die Mohammedaner nicht schlechter als „gewöhnliche“ Nichtjuden behandeln sollen, aber auch nicht besser. Wiederum kann Maimonides dazu dienen, die Frage zu beleuchten. Er sagt ausdrücklich, daß der Islam keine Götzenanbetung ist, und in seinen philosophischen Arbeiten zitiert er mit großer Achtung viele islamische philosophische Autoritäten.